Der Garten meines Engländers, und meiner [Teil 1]
Jedes Mal, wenn ich nach London zurückkomme, kann mein Engländer es kaum erwarten, mir zu zeigen, was sich im Garten verändert hat. Während ich ihm durch den schmalen Korridor zur Rückseite des Hauses folge, bin ich nie ganz vorbereitet auf den Moment, wenn der Garten plötzlich vor mir liegt und mir fast der Atem wegbleibt.
Mein Engländer und ich haben den Garten gemeinsam angelegt. Wie die meisten Londoner Gärten ist auch dieser ein schmales Rechteck hinter einem der typischen Reihenhäuser, ungefähr 5 x 9 Meter groß. Hohe Holzzäune trennen ihn von anderen, identisch dimensionierten.
Im Sommer 2013 fanden wir hier einen attraktiven Garten vor. Die seitlichen Zäune waren üppig mit Kletterpflanzen (Trachelospermum jasminoides) bedeckt, davor stand eine kniehohe Buchsbaumhecke. Das hintere Ende des Gartens lag versteckt hinter Bambus. Hohe Bäume auf den umliegenden Grundstücken trugen dazu bei, daß man sich wie in einer lauschigen, grünen Höhle fühlte. In der Hitze des Hochsommers war dies eine wunderbar erfrischende Oase. Der Garten war stilvoll, modern und sehr pflegeleicht.

Allerdings war Gartenpflege, oder besser gärtnern, genau das, was wir wollten. Für meinen Engländer war dies sein erster Garten, ich hatte zuvor nur drei Jahre lang ein eigenes Gärtchen gehabt. Wir waren beide überaus Pflanzen-begeistert. Unsere Lieblingsbeschäftigung war es, die großartigen Gärten Englands zu besuchen. Nun konnten wir es kaum erwarten, uns die Hände schmutzig zu machen, zu pflanzen, zu säen, vielleicht sogar zu ernten. Wir wussten noch nicht genau, welche Pflanzen wir setzen würden, wir wussten nur, dass wir die Freiheit haben wollten, zu experimentieren.
Leider war das gesamte Grundstück, abgesehen von den Rändern, mit großen Steinplatten zugepflastert. Für die Kinder der Vorbesitzer und deren Dreiräder war das perfekt gewesen. Wir überlegten, Blumenkübel daraufzustellen, verwarfen die Idee aber schnell wieder. Unsere Pflanzenauswahl wäre zu stark eingeschränkt. Die Platten würden weichen müssen.
Ein weiteres Hindernis für unsere Pläne war Schatten. Wir wollten unterschiedliche Pflanzen ausprobieren, nicht nur schattenliebende. Also beschlossen wir, den Bambus zu entfernen und die Nachbarn waren zum Glück bereit, ihre Bäume zu stutzen.
Sollten wir die Kletterpflanzen an den Seitenzäunen und die niedrigen Hecken, die letzten Überbleibsel des bestehenden Gartens, behalten? Es waren schöne Pflanzen. Aber ohne den Bambus und die über die Zäune hängenden Äste der Bäume der Nachbarn sahen sie seltsam verloren aus. Mein Engländer war für einen kompletten Neuanfang.
Ich war unentschieden. Ich erinnerte mich an eine Begebenheit in einem Garten, den ich Jahre zuvor gepflegt hatte. Durch Kletterpflanzen war das Holz des Zaunes permanent feucht gewesen und dadurch schnell verrottet. Als der morsche Zaun ersetzt werden musste, waren meine sorgfältig gehegten Pflanzen zerstört worden. Seitdem wünschte ich mir einen Garten mit dauerhafterer Einfriedung, ich wollte Backsteinmauern. Exorbitante Kosten und zu erwartende bauliche Schwierigkeiten setzten diesem Traum schnell ein Ende. Was blieb, war meine Zustimmung, die Kletterpflanzen zu entfernen.
Wir begannen zurückzuschneiden und auszugraben. Nachdem wir uns entschlossen hatten, Platten und Kletterpflanzen zu entfernen, machte es keine Sinn, die niedrige Buchsbaumhecke stehenzulassen. Zufälligerweise waren Freunde für ihr neues Gartenprojekt an den Pflanzen interessiert. Und die Mutter meines Engländers freute sich über die Kletterpflanzen. Die Bambusstangen bewahrten wir zur späteren eigenen Verwendung auf.
Der Garten sah zunehmend trostlos aus. Sein Hauptmerkmal war nun ein Schuppen, der vorher durch den Bambus verdeckt gewesen war. Er war praktisch, aber wollten wir wirklich einen Garten mit einem Schuppen als Mittelpunkt? Zum Glück waren die Freunde, die die Buchsbaumpflanzen bekommen hatten, auch an dem Schuppen interessiert.


Mit den freigelegten Zäunen sah der Garten plötzlich aus wie ein Zimmer, nur die Decke fehlte. Dieses ‘Zimmer’ erstreckte sich bis ins Haus und schloss den Küchen- und Essbereich ein. Die einzige Trennung zwischen innen und außen waren große, gläserne Flügeltüren. Ich weiß noch, wie wir am Esstisch saßen und durch die Glastüren auf den Garten schauten. Er war kahl und pflanzenlos, deprimierend, ein bisschen wie ein vernachlässigter Parkplatz. Wir waren uns einig, dass unser neuer Garten nicht nur Platz für Pflanzexperimente bieten sollte, sondern auch schön sein musste, besonders aus diesem Blickwinkel. Das war wichtig. Der Garten war der Fokus dieses Raumes, er war das Panoramabild vor dem Esstisch.

Eine weitere Anforderung an die neuen Gartengestaltung war Stauraum für Gartengeräte und ich wollte unbedingt einen Ersatz für das Gewächshaus, das ich in meinem vorherigen Garten zurückgelassen hatte. Und natürlich brauchten wir auch einen Sitzbereich.
Auf Grund meiner Erfahrung als Designerin (allerdings Grafik-Design, nicht Garten-Design) fiel mir die Aufgabe zu, einen Plan zu erstellen, der all diese Voraussetzungen erfüllen würde. Ich begann damit, mir die Zaun-Paneele und Pfosten genauer anzuschauen. Sie befanden sich in einem guten Zustand, mit Ausnahme des hinteren Zauns. Dort waren die Paneele im unteren Teil verfault, weil der Grund auf der Seite der Nachbarn etwa 30 Zentimeter höher war. Ein großer Schuppen stand direkt an der Grundstücksgrenze. Nichts hinderte den Boden des Nachbargrundstücks einschließlich Schuppen daran, mit der Zeit in unseren Garten zu rutschen. Es mußte eine solide, langfristige Lösung her, wie z.B. eine Stützmauer mit einem neuen Zaun darauf. Oder ein Hochbeet, das noch größere Stabilität und zusätzlich viel Platz für Pflanzen bieten würde. Vor allem aber würde ein Hochbeet, das sich über die gesamte Breite des Grundstücks erstreckte, die Horizontale betonen und den Garten dadurch breiter erscheinen lassen. Meinem Engländer gefiel die Idee.


Nachdem ein Gestaltungselement fest stand, begann ich, über Stauraum für Werkzeuge und ein Gewächshaus nachzudenken. Beide würden so klein wie möglich sein müssen. Die einzigen Flächen, die sie einnehmen konnten, waren die vorderen Ecken, links und rechts der breiten Türöffnung. Andernfalls würden sie die Aussicht versperren. Der Garten war nach Südwesten ausgerichtet, rechts war also die Sonnenseite. Online fand ich ein 1,8 m langes und 0,6 m tiefes Mini-Gewächshaus und platzierte es gedanklich in die rechte Ecke. Für die gegenüberliegende Ecke fand ich eine wasserdichte Plastikbox. Sie war nicht ganz so breit, hatte aber ungefähr die gleiche Tiefe wie das Gewächshaus. Direkt am Haus positioniert würden beide Objekte fast aus dem Blickfeld verschwinden. Mein Engländer hatte nichts gegen meine Vorschläge, wollte aber wissen, wie der Rest des Gartens dann aussehen könnte.
Der größte Teil des Grundstücks war noch mit den 60 x 80 cm Steinplatten bedeckt, grauer Granit, strapazierfähig, rutschfest und sehr schön. Könnten wir die Platten vielleicht wiederverwenden? Ich begann, kleine Skizzen zu zeichen, wobei ich die Granitplatten als Raster benutzte. Die vorderen drei Reihen Platten konnten unter Mini-Gewächshaus und Gerätebox erhalten bleiben. Eine einzelne Plattenreihe könnte entlang des Hochbeetes verlegt werden.
Nun brauchten wir noch einen Sitzbereich und einen Weg zum hinteren Beet. Vorne, zwischen Mini-Gewächshaus und Gerätebox, würde Platz für Gartenmöbel sein. Aber wäre es nicht schön, den Garten aus einem zusätzlichen Blickwinkel betrachten zu können? Die ersten Sonnenstrahlen am Morgen erreichten die hintere rechte Ecke des Gartens. Ich zeichnete eine doppelte Reihe Platten entlang des Zauns auf dieser Seite. Die funktionierte als Weg und war zusätzlich gerade breit genug für einen kleinen Tisch und zwei Stühle, ausreichend für uns beide.
Mein Engländer stimmte zu, Besucher würden wahrscheinlich ohnehin am Esstisch sitzen. Wenn die Flügeltüren im Sommer weit geöffnet waren, saß man dort quasi draußen. Ein weiterer großer Tisch in diesem winzigen Garten wäre Platzverschwendung.
In meiner Skizze verblieb nun eine rechteckige Freifläche. An drei Seiten war sie durch Platten begrenzt. Wir könnten die Fläche durch Wege in drei oder vier Beete aufteilen. Mein Engländer war nicht überzeugt. Können wir das Ganze nicht einfach als ein großes Beet belassen? Mir gefiel die Flexibilität, die wir dadurch bei der Bepflanzung haben würden. Schließlich entschieden wir uns, nur eine einzelne Reihe Granitplatten entlang des linken Grundstücksgrenze zu verlegen. Das würde für etwaige Reparaturen am Zaun hilfreich sein und wir würden von allem Seiten aus Zugang zu dem Beet haben.
Unser Plan war fertig. Alles hatte seinen Platz gefunden. Das neue Layout des Gartens würde asymmetrisch sein, was bestens zur Innenaufteilung des Hauses paßte. Für einen winzigen Garten war die geplante Größe des Hauptbeetes beeindruckend, mehr als die Hälfte der Breite und fast die Hälfte der Länge: 3 x 4 Meter.
Im Sommer 2014 setzten freundliche Handwerker unsere Pläne um. Als sie im zentralen Beet hauptsächlich alten Bauschutt fanden, schachteten sie das Beet 30 Zentimeter tief aus und füllten es genau wie das neu angelegte Hochbeet mit insgesamt 6 Kubikmetern frischem, mit Kompost gemischtem Mutterboden. Alle Granitplatten wurden neu verlegt, keine von ihnen ging kaputt.






Die Aussicht vom Esstisch hatte sich verbessert, erheblich. Aber wir zögerten noch, mit der Bepflanzung zu beginnen. Seit die Idee mit der Backsteinmauer ad acta gelegt worden war, hatte ich nach Zaun-Alternativen gesucht. Das neue Layout unseres Gartens bedeutete, dass die Einfriedungen exponiert bleiben würden. Die Zäune waren nun zwar auf allen Seiten solide, aber sie sahen trist und betont zweckmäßig aus. Wenn wir sie einfach so beließen, wie sie waren, würden wir ein beliebiges Standardprodukt aus der Baumarkt über den Stil unseres Gartens entscheiden zu lassen.
Eine Holzverkleidung könnte eine Idee sein. Die bestehenden Zäune könnten dann erhalten bleiben, wir müßten die Nachbarn nicht um Erlaubnis bitten, wir würden auf unserer Seite einfach eine zusätzliche Holzschicht anbringen. Ich suchte nach nachhaltigen Optionen und stieß auf Kebony. Ein norwegisches Unternehmen imprägnierte schnell wachsendes skandinavisches Weichholz mit einem Nebenprodukt aus der Zuckerindustrie und fertigte so eine witterungsbeständige Alternative zu tropischem Hartholz. Das klang perfekt. Leider gab es dafür in Großbritannien keinen Lieferanten. Aber Zedernholz (Thuja plicata) war verfügbar. Es war ebenfalls ein schnell wachsendes Nadelholz, das hauptsächlich aus Nordamerika kam und mit einer vertrauenswürdigen Zertifizierung versehen war. Seine Umweltfreundlichkeit lag allerdings irgendwo auf halber Strecke zwischen Kebony und tropischem Hartholz. Immerhin hatte Zedernholz den Vorteil einer hohen natürlichen Resistenz gegen Fäulnis. Es war die nachhaltigste Lösung, die ich finden konnte.
Eines Morgens im Frühjahr 2015 lieferte ein LKW 20 x 70 mm Latten aus unbehandeltem Zedernholz mit einer Gesamtlänge von 607 Metern. Der Stapel war beeindruckend groß und duftete wunderbar. In dem Bemühen, Verschnitt zu vermeiden, hatte ich Ewigkeiten damit verbracht, zu messen und jedes benötigte Stück Holz genau zu berechnen. Jetzt war ich nervös, ob es tatsächlich reichen würde.
Mein Engländer und ich wollten die Latten selbst zuschneiden. Ein falscher Schnitt und uns würde Material fehlen. Der Plan war, die Latten mit Schrauben auf Trägerlatten zu befestigen und zwar im Abstand von jeweils exakt 10 mm. Wir würden dabei sehr genau arbeiten müssen, sonst würden die Paneele nicht aneinander passen, wenn wir sie später an den bestehenden Zäunen befestigen würden. Paneele hatten den Vorteil, daß wir den eigentlichen Zaun austauschen konnten, ohne die Verkleidung wegwerfen zu müssen, sollte das einmal notwendig werden. Und praktischerweise verschwanden die Schraubenköpfe so auf der Rückseite der Verkleidung. Zusätzlich zu den Zäunen wollten wir die hässliche, aber praktische Gerätebox unter Zedernholz versteckt werden. Damit würde sie sich in das Gesamtbild einfügen, genau wie das aus dem gleichen Holz gefertigte Mini-Gewächshaus, das wir bestellt hatten. Das alles war an einem Nachmittag zu schaffen, dachte ich. Nun ja, es dauerte eine Woche und wir brauchten 800 Schrauben, aber am Ende passte alles perfekt, es fehlte nicht eine Latte und es blieb so gut wie kein Holz übrig.
Das Ergebnis war spektakulär. Die Gestaltung des Gartens war plötzlich wie aus einem Guss. Das fein strukturierte Holz harmonierte mit den Materialien im Inneren des Hauses. Die klaren Linien des Gartens sorgten für ein Gefühl luxuriöser Weite. Endlich konnten wir anfangen zu pflanzen.


Das war vor fast sechs Jahren. Erst nach und nach wurde uns klar, wie ungewöhnlichen der Grundriss unseres Gartens ist. Indem wir die Einfriedung freilegten und die Mitte des Gartens mit Pflanzen füllten, stellten wir das Standard-Design für kleine Stadtgärten auf den Kopf. Für uns hat sich das als perfekt erwiesen. Die beiden großen Blumenbeete haben schon diverse gärtnerische Experimente beherbergt.
Während die Pflanzen unsere Aufmerksamkeit aus sich zogen, beachteten wir das Grundgerüst des Gartens kaum noch. Im Sommer vergaßen wir es fast. Aber im Winter, wenn die meisten Stauden unter der Erde sind, der Ahorn keine Blätter trägt, die Bananenstaude zum Frostschutz eingewickelt ist und der Garten ruht, dann tritt das Grundgerüst wieder in den Vordergrund.



Das Zedernholz ist wunderbar gealtert. Der anfängliche Honig-Ton ist zu einem eleganten Hellgrau gebleicht. Regen macht daraus ein warmes Dunkelbraun, das sanft mit dem blassen Blaugrau des Hochbeets und dem winterlichen Himmel kontrastiert, der sich in den nassen Granitplatten spiegelt.
Vor ein paar Wochen, um die Wintersonnenwende, saßen mein Engländer und ich am Esstisch und schauten in den Garten hinaus. Abgesehen von ein paar späten Rosen blühte nichts. Die Sonne stieg kaum über den Zaun, kostbare Strahlen zeichneten kurz scharfe Linien auf das Zedernholz. Mit seiner gedämpften Farbpalette war der Gartens kahl aber nicht trostlos.
Dieser Artikel ist der erste Teil in der Serie ‘Der Garten meines Engländers, und meiner’. Teil 2 ist hier, weitere Teile werden folgen.