Mitten in der Stadt einen Garten zu haben, ist ein Glück, ein großes Glück. Aber es ist auch Verantwortung. In Städten gibt es so wenig Natur, dass, wie ich finde, jeder Stadt-Gärtner die Pflicht hat, sie in seinem Garten zu schützen und zu stärken.
Mein Garten war 45 Jahre lang nicht genutzt worden, als ich ihn übernahm. Die Vorbesitzerin hatte kein Interesse daran gehabt. Sie hatte eine Wohnung gekauft, zu der zufällig ein Garten gehörte. Sie ließ das Gras regelmäßig mähen, das war alles.
Dieser Garten war eine eigene Welt, vollkommen in sich ruhend. Ich fühlte mich wie ein Eindringling. Vorsichtig setzte ich mich in eine Ecke. Die Variationen des Vogelgesangs schienen endlos; es gab krabbelnde und fliegende und summende Insekten und von komplexen Blätter-Arrangements gefilterte Sonnenstrahlen warfen lautlos wechselnde Lichtmuster.

In seiner Grundstruktur war der Garten simpel: ein Rechteck, etwa 10 Meter breit und 20 Meter lang, an drei Seiten von hohen Backsteinmauern umgeben – wie ein Zimmer ohne Decke. Dieser Gartenraum war spärlich mit Pflanzen bestückt: Farne und breitblättrige Gräser an zwei Rändern, ein Dickicht aus Sträuchern auf der anderen Seite und Efeu an den Wänden rundherum. Der größte Teil des Gartens bestand aus Gras. Ein dichter Teppich – weniger niedrigfloriger Rasen als hochflorige Wiese – bedeckte den gesamten zentralen Bereich.
Ich beschloss genau dort, inmitten dieser Gras-Monokultur, zu versuchen, mehr Pflanzenvielfalt zu schaffen. Wenn es mir gelänge, die Bepflanzung dieses Teils des Gartens zu diversifizieren, würde der Garten für mich schöner werden und Insekten vielfältigere Lebensräume bieten. Das wäre die perfekte Balance zwischen meinen Bedürfnissen und denen des Ökosystems, das mein Garten war. Ich wusste, dass ich die Bepflanzung im zentralen Bereich niedrig belassen wollte, um den Charakter des Gartens als „leeren Raum“ zu erhalten. Von dort war der Gedankensprung zu der Idee einer Wildblumenwiese nicht mehr weit.

Eine Wildblumenwiese ist eine romantische Idee, ein Ort der Sehnsucht, die Vollkorn-Version eines palmengesäumten Südseestrandes. Jeder kann sich eine Blumenwiese vorstellen: üppig und bunt und lebendig. Auf die Frage nach einem „Glücksort“ würden vermutlich viele Leute „Blumenwiese“ antworten. Aber wer weiß, wie man eine Blumenwiese anlegt? In der Vergangenheit hatte ich in verschiedenen Gärten Rasenflächen angelegt und ausgebessert. Wie schwierig konnte es also sein, eine Wildblumenwiese anzulegen? Tja, sehr. In der Einleitung zu seinem hervorragenden Buch „Wiesen“ erklärt Christopher Lloyd: „Das entspannte Erscheinungsbild einer Wiese suggeriert Muße, aber wie bei einem Garten hängt die Anlage und Pflege fast vollständig vom Menschen ab. Natur so zu erschaffen, wie wir sie uns erträumen, ist schwieriger, als es scheint.“
Es gibt ein- und mehrjährige Wiesen. Auf den ersten Blick sehen sich beide ähnlich, aber es gibt grundlegende Unterschiede. Die Anlage einer einjährigen Wiese ist unkompliziert. Im ersten Jahr: Samenmischung kaufen, über ein leeres Beet streuen und ein paar Monate warten, bis die Blumen blühen. Zweites Jahr: wiederholen. Das Ergebnis ist schön, mit rotem Mohn und blauen Kornblumen, auch die Bienen freuen sich. Aber die Pracht hält nicht an. Das war nicht das, was ich wollte.
Eine mehrjährige Blumenwiese hingegen ist, im Prinzip, immerwährend. Sie ist ein selbständiges Ökosystem, für das der Mensch nur die Voraussetzungen schafft. Die offensichtlichste davon ist der Schnitt. Er ist von essenzieller Bedeutung. Auf einer Wiese, die nicht regelmäßig gemäht wird, entwickelt sich die Vegetation zu der für die Gegend natürlichen zurück. In gemäßigten Klimazonen ist dies in der Regel Wald. Im Idealfall ist eine mehrjährige Wildblumenwiese ein fein austariertes System, in dem keine Pflanzenart eine andere verdrängt, sodass maximale Artenvielfalt herrscht. Dieser Zustand ist jedoch nur sehr schwer zu erreichen. Christopher Lloyd schreibt: „Wiesen brauchen konstruktives, fokussiertes Denken.“
Die wichtigste Voraussetzung ist schlechte Erde. In nährstoffreichen Böden ersticken stärkere Gräser die zarteren Blühpflanzen. Die Pflanzenvielfalt nimmt ab und nach einigen Jahren sind nur noch Gräser übrig. Die meisten gewöhnlichen Wiesen sind zu nährstoffreich, um sie einfach in Blumenwiesen umzuwandeln. Eine Methode, die Fruchtbarkeit allmählich zu verringern, besteht darin, das Gras häufig und nah über dem Boden zu schneiden, das Schnittgut zu entfernen und schließlich vorgezogene Wildblumenpflanzen einzusetzen. Dies dauert jedoch mehrere Jahre und es gibt keine Garantie, dass es funktioniert. Der radikalere und schnellere Ansatz ist, das gesamte vorhandene Gras, inklusive eines Großteils des Mutterbodens, zu entfernen und die Fläche neu einzusähen.
Ich entschied mich für die radikale Methode. Ich wollte nicht warten. Ich hatte den Garten schon seit über einem Jahr und spürte, dass es an der Zeit war, mit dem Gärtnern zu beginnen. Auf Basis all der Informationen, die ich zusammengetragen hatte, kam ich zu dem Schluss, dass der wahrscheinlichste Weg zum Erfolg darin bestand, bei null anzufangen.
Also brauchte ich Saatgut. Da ich den Lebensraum der heimischen Fauna stärken und erweitern wollte, sollten es heimischen Samen sein. Eine Freundin, die Umweltbiologin ist, empfahl mir, sie bei einer Firma zu bestellen, die basierend auf der Postleitzahl des Kunden regionales Saatgut liefert. Perfekt.
Ich freute mich auf ordentlich anstrengende Gartenarbeit und hatte vor, an ein oder zwei Nachmittagen das alte Gras zu entfernen und die neue Blumenwiese einzusäen. Ich erzählte der Mutter meines Engländers von meinen Plänen. Selbst begeisterte Gärtnerin, fragte sie, ob ich denn das richtige Werkzeug hätte. Zuerst verstand ich gar nicht, was sie meinte, denn ich hatte keine Ahnung, dass es ein spezielles Werkzeug zum Abheben der Grasnarbe gab. Sie holte eine schwere Schaufel mit angewinkeltem Stil aus dem Schuppen und bot an, sie mir zu leihen. Leider kam das nicht in Frage, schließlich würde sie bei meiner Rückreise nach Deutschland nicht ins Handgepäck passen. Aber ich versuchte, das Gerät in Deutschland zu erwerben. Die Beschreibung dessen, was ich in England gesehen hatte, führte in der Gartenabteilung von OBI zu verwirrten Blicken. Der freundliche Mitarbeiter erklärte mir, es gebe Firmen, die Gras mit speziellen Maschinen abfräsen. Das von Hand zu machen, davon hatte er noch nie gehört. Ich kaufte einen zusätzlichen Spaten und blieb zuversichtlich.

Die Aussaat mehrjähriger Wiesen erfolgt im Herbst oder im Frühjahr. Meine sollte im Herbst 2018 eingesät werden. Aber dann hätte ich zu viel zu tun und es wurde kalt. Ich verschob die Aktion auf den Frühling. April 2019 kam und das nächste Zeitfenster begann sich zu schließen. Mir wurde klar, dass ich Hilfe brauchte. Zum Glück hatte ein Freund angeboten mitzumachen und zusätzlich kündigte mein Engländer seinen Besuch an.
Am 5. April 2019 ging es los. Zuerst legte ich ein rotes Stromkabel aus, um den Rand der Blumenwiese zu markieren. Seit ich gelesen hatte, dass Beth Chatto die Umrisse ihrer Beete mit Bewässerungsschläuchen entwirft, wollte ich das ausprobieren. Das Kabel funktionierte gut als Schlauchersatz.
Wildblumenwiesen sollten nicht regelmäßig betreten werden. Weidende Kühe wären in Ordnung, weil ihre Hufe Löcher verursachen, in denen Samen keimen können. Aber menschliche Fußabdrücke haben nichts Vorteilhaftes. Also entwarf ich die Blumenwiese wie ein Blumenbeet mit Weg durch die Mitte. Die Wiese würde das mittlere Drittel des Gartens einnehmen, so dass auch auf an Seiten genug Platz zum Gehen und Sitzen blieb.



Schließlich war das Kabel perfekt platziert und wir fingen an. Nur mit Mühe schnitten die Spaten durch das Gras. Wie hatte ich vergessen können, wie stark Graswurzeln sind? Ich dachte an das Gespräch mit dem netten Mann bei OBI. Zum Glück machten sich meine Helfer fröhlich und mit viel Enthusiasmus an die Arbeit. Wir entwickelten ein System: Die Männer benutzten die Spaten wie Fallbeile, um den Rasen in kleine Päckchen zu hacken. In sicherem Abstand war ich auf den Knien und zog die Päckchen mit meinen behandschuhten Händen heraus. Alle paar Minuten brauchte ich Hilfe, um einen Korb voller schwerer Grasbüschel auf die andere Seite des Gartens zu tragen, wo wir sie aufschütteten. Wie hatte ich vergessen können, dass Erde so schwer ist?



Die verrückte Idee, schätzungsweise 60 Quadratmeter Grasnarbe mit der Hand abzutragen, hätte sich ohne meine Mitgärtner schnell in eine Katastrophe verwandelt. Glücklicherweise blieben sie durchweg gut gelaunt, als hätten sie die ganze Zeit nichts anderes erwartet. Wir arbeiteten hart, machten am nächsten Tag weiter, und schließlich war der Boden freigeräumt. Ich war unglaublich dankbar und schämte mich im Stillen, dass ich den Umfang der Arbeit so gewaltig falsch eingeschätzt hatte.



Wir standen vor unserem Werk. Es sah aus wie ein von Außerirdischen ins Gras gefrästes Yin und Yang. Das war das genaue Gegenteil der Idylle, von der ich träumte. Aber ich war zu erschöpft, darüber nachzudenken. Schnell säte ich den Samen aus – nur etwa 2 Gramm Blumen pro Quadratmeter! Ich hatte gelesen, dass dies die perfekte Menge sei, um den zarten Blühpflanzen genug Raum für ihre Entwicklung zu lassen. Trotzdem blieb das Gefühl, dass ich zu wenig säte.

An den darauffolgenden Tagen wurde ich immer besorgter um mein Wildblumenwiesenprojekt. Mir war klar, weshalb es im Moment so aussah, wie es aussah. Das Problem war, dass ich mir nur das Endresultat vorgestellt hatte und keine Zwischenschritte. Ich war schockiert. Mein schöner Garten sah plötzlich verwüstet aus, als wäre mitten ins Paradies eine Bombe gefallen.

Ich musste aufhören mit der Panik. Ich hatte mich gut genug informiert. Ich hatte alle Ratschläge befolgt. Dies würde die Wildblumenwiese meiner Träume werden. Ich musste nur warten.
Hatte ich die Samen den Winter über richtig gelagert? Hatte ich zu spät ausgesät? Der April war ungewöhnlich heiß und trocken – sollte ich wässern? Ich zögerte einige Tage, dann fragte ich meine Freundin, die Umweltbiologin. Nein, normalerweise solle ich meine Wiese nicht bewässern, aber jetzt schon, sonst würden meine kostbaren Samen in der prallen Sonne einfach vertrocknen. Noch am selben Tag installierte ich einen Sprenger. Hoffentlich war es nicht zu spät. Würde aus diesem traurig aussehenden Flecken kahler Erde jemals eine Wildblumenwiese werden? Mir blieb nichts anderes übrig, als zu warten.