Ein kleiner Bach durchschneidet den grasbewachsenen Hang. Er erweitert sich zu einer Reihe von Teichen, um deren Ufer sich verschiedene Sträucher und kleine Bäume gruppieren, darunter feurig rote Japanische Ahorne (Acer palmatum). Der Blick ist frei auf die bewaldeten Hügel des High Weald, einer landschaftlich besonders reizvollen Gegend in Südengland. Wir gehen bergab. Allmählich wird das Gelände steiler, der sanfte Hang geht in eine Reihe von Senken und Mulden über. Hier dominiert lichter Wald die Landschaft. Majestätische Tupelobäume (Nyssa sylvatica ‘High Beeches’) kommen ins Blickfeld. Ihr Blattwerk ist ein atemberaubend großer oranger Farbverlauf, der von zartem Gelb fast bis zu leuchtendem Rot reicht. Vor kurzem hat es aufgehört zu regnen. Die Luft ist frisch und klar und die Sonne präsentiert die Bäume vor dem blauesten Himmel. Es ist alles fast ein bisschen zu Technicolor, um echt zu sein. Aber vielleicht sind wir auch nur zum richtigen Zeitpunkt hier.

Majestätische Tupelobäume (Nyssa sylvatica ‘High Beeches’)
Es ist Oktober und mein Engländer und ich sind in High Beeches, einem 10 Hektar großen Garten in der Nähe von Handcross in West Sussex. Dies ist einer unserer Lieblingsgärten. Er ist seltsamerweise recht unbekannt, obwohl er von mehreren populären Gärten wie Nyman’s, Wakehurst Place, Borde Hill und Leonardslee fast zu Fuß zu erreichen ist. Seit wir High Beeches vor einiger Zeit entdeckt haben, kommen wir mindestens einmal im Jahr hierher. Wir haben den Garten schon zu den unterschiedlichsten Jahreszeiten gesehen, aber bisher noch nie zur besten Zeit im Herbst.
Hinter den Tupelobäumen verzweigt sich der Weg, wird zu einem komplexen Netzwerk, das hier in kleinen Tälern verschwindet, dort steile Hänge hinaufführt. Mein Engländer fotografiert gerade etwas, als mir ein ungewöhnlicher Baum auffällt. Seine Äste sind fast transparent mit einem Hauch von Kupfer. Ich gehe über das Gras auf ihn zu und stelle fest, dass die Blätter nach oben gefaltet sind. Die Unterseite ist blass pfirsichfarben und die Oberseite tief magenta. Interessant, wie sich die Farben der Blätter in der Ferne vermischen, während die papierartige Rinde auch aus nächster Nähe kupferfarben ist. Ich finde ein Schild, das den Baum als „Stewartia monadelpha“ identifiziert. Die Gattung ist in Asien und Amerika beheimatet und High Beeches beherbergt die National Collection Großbritanniens.

‚Stewartia monodelpha‚, die Gattung ist in Asien und Amerika beheimatet und High Beeches beherbergt die National Collection Großbritanniens.


An der Seite eines steilen Hangs am äußersten Ende des Gartens stoße ich auf einen weiteren Baum mit besonders subtilen Herbstfarben. Es handelt sich um eine Konifere mit Nadeln in ungewöhnlichen Ockerschattierungen. Ein Schild weist sie als Urweltmammutbaum (Metasequoia glyptostroboides) aus China aus – ein lebendes Fossil, denn die Art ist die letzte existierende ihrer Gattung.



Bei näherer Betrachtung erweisen sich die meisten Pflanzen in diesem Garten als selten und exotisch. Im Jahre 1906 erbte der zweiundzwanzigjährige Colonel Giles H. Loder dieses Stück Land. Bis zu seinem Tod sechzig Jahre später pflanzte er hier alles, was ein Amateurbotaniker des frühen 20. Jahrhunderts schätzte.
Damals war es nicht so außergewöhnlich, wie es heute erscheint, sein Leben der Schaffung einer solchen Landschaft zu widmen, vor allem in der Oberschicht in diesem Teil der Welt. Über Colonel Loder ist nicht viel bekannt, aber das gärtnerische und botanische Interesse seiner Familie, Freunde und Nachbarn ist gut dokumentiert.
Colonel Loders Onkel Edward legte die Gärten des nahe gelegenen Leonardslee an und wurde durch die Kreuzung von Rhododendron (R. loderi) bekannt. Ein anderer Onkel entwickelte die beeindruckenden Gärten in Wakehurst Place, jetzt Teil des botanischen Gartens Kew. Colonel Loder war mit vielen erfahrenen Pflanzenliebhabern befreundet, darunter seine Nachbarn in Nyman’s, die Familie Messel, und Arthur Soames aus dem nahe gelegenen Sheffield Park. Colonel Loder tauschte seltene Pflanzen mit Freunden und Verwandten und wie viele von ihnen beteiligte er sich an den Kosten von Expiditionen, vor allem in den Fernen Osten, um seine Sammlung in High Beeches zu erweitern.
Interessanterweise unterscheidet sich Colonel Loders Garten aber von so vielen, die zur gleichen Zeit angelegt wurden. Es scheint, dass ein anderer Freund und Nachbar, John G. Millais, ein weitgereister Naturforscher und Sohn eines berühmten Malers, entscheidenden gestalterischen Einfluss hatte. „Pflanze nicht zu dicht, vermeide übermäßige Konzentration auf eine Gattung und verwende nur die besten Pflanzen“, lautete der Tipp, der in einem seiner Bücher festgehalten ist. Wenn ich heute durch den Garten spaziere, bin ich erstaunt, wie genau diese Beschreibung High Beeches charakterisiert.


Ich klettere einen steilen Hang hinauf, angezogen von einem roten Leuchten. Hohe Bäume umschließen eine Grasfläche, die bis auf einen niedrigen Baum in ihrer Mitte leer ist. Dieser Fächerahorn (Acer palmatum) wird von der Sonne angestrahlt wie eine Skulptur in einer Galerie. Als ich näher komme, enthüllen die zarten, fein gezähnten Blätter immer mehr ihrer Details.

Der japanische Ahorn (Acer palmatum) wird von der Sonne angestrahlt, wie eine Skulptur in einer Galerie.


Zahlreiche Landschaftsgärten in England zeigen das Schauspiel der Herbstlaubfärbung. Sorgfältig werden exotische Arten wegen ihrer intensiven Farben ausgewählt. Oft sind sie (wie z. B. in Sheffield Park) um einen See herum angeordnet, sodass sich die Farben auf dessen stiller Oberfläche spiegeln und den Effekt verdoppeln. Garten- oder vielmehr Landschaftsgestaltung in dieser Dimension ist beeindruckend. Aber das Ergebnis ist ein bisschen wie ein großes Bühnenbild. Alle Besucher machen das gleiche Foto der gleichen akribisch komponierten Ansicht, nachdem sie der gleichen Route von einem Aussichtspunkt zum nächsten gefolgt sind. Kurz gesagt, jedes Erlebnis ist genau vorbestimmt.

High Beeches ist anders. Es gibt keine vorgeschriebenen Wege, keine offensichtlich konstruierten Ansichten. Die bemerkenswert spärliche Bepflanzung eröffnet eine Vielzahl von Blickwinkeln. Ein Spaziergang durch den Garten zeigt immer neue Kompositionen von Formen, Texturen, Farben. Jeder Besucher ist eingeladen, seine eigene Perspektive zu finden.



Trotz aller gestalterischen Finesse fühlt sich hier nichts künstlich an. Die von Herrn Millais empfohlene naturalistische Art der Bepflanzung ist sicherlich eine Erklärung dafür. Aber eine waldähnliche Pflanzenanordnung macht noch keinen Wald. Damit daraus ein nachhaltiges Ökosystem wird, muss ein unendlich komplexes Netzwerk aus Organismen – von Pilzen und Waldpflanzen bis hin zu Insekten und Wildvögeln – heimisch werden.
Die Natur zu fördern und zu pflegen, war eine Priorität für Anne und Edward Boscawen, seit sie High Beeches 1966 kauften. Als begeisterte Amateurbotaniker erkannten sie den Wert von Colonel Loders Schöpfung. Für die Boscawens war High Beeches jedoch nie nur eine beeindruckende Pflanzensammlung. Von Anfang an sahen sie sich als Hüter einer außergewöhnlichen Landschaft.
Im Informationsheft schreiben die Boscawens, ihr Motto sei „Wo immer es geht, in Ruhe lassen“. Es ist offensichtlich, dass in den Garten nur dann eingegriffen wird, wenn eine Pflanze krank oder zu dominant wird. Ansonsten bleibt die Fauna und Flora ungestört, und so sind die exotischen Pflanzen im Laufe der Jahre zu einem integralen Bestandteil der lokalen Pflanzengemeinschaft geworden.
Im Gras entdecke ich eine Gruppe von einheimischen Fliegenpilzen (Amanita muscaria), deren Hüte mit genau dem gleichen intensiven Orange-Verlauf bedeckt sind wie die Tupelobäume, nur kreisförmig. Etwas weiter entlang des Tals wiederholt sich die Farbpalette in den gefallenen Blättern eines exotischen Baumes, ein Persischer Eisenholzbaum (Parrotia persica).

Im Gras entdecke ich eine Gruppe von einheimischen Fliegenpilzen (Amanita muscaria), deren Hüte mit genau dem gleichen intensiven Orange-Verlauf bedeckt sind wie die Tupelo-Bäume, nur kreisförmig.

Die Farbpalette wiederholt sich in den gefallenen Blättern eines exotischen Baumes, ein persischer Eisenholzbaum (Parrotia persica), glaube ich.
Alles in High Beeches strahlt Ruhe aus, nicht nur der Garten. Der Besucherparkplatz fühlt sich an wie ein abgelegener Wanderparkplatz. In dem winzigen Kassenhäuschen am Eingang gibt es neben Eintrittskarten Informationshefte und Eis zu kaufen. Das ist alles. Es gibt keinen Souvenir-Shop, nichts, was vom Garten ablenken würde.

Bei unseren früheren Besuchen in High Beeches hatten wir das Gefühl, die einzigen Besucher zu sein. Heute ist es dagegen voll – nicht unangenehm, High Beeches ist schließlich geräumig genug, aber definitiv belebter. Als wir ankamen, etwa eine halbe Stunde, bevor der Garten öffnete, warteten schon Besucher am Eingang. Aber vielleicht ist das nicht so überraschend am einzigen sonnigen Nachmittag der letzten zwei Wochen und zu einer Zeit, wenn das Herbstlaub gerade auf dem farbigen Höhepunkt ist.
Als wir nun zum Auto zurückkehren, ist der Parkplatz voll. Ich komme mit der freundlichen Frau in der reflektierenden Sicherheitsweste ins Gespräch. Sie weist neu ankommende Autos an, auf einer Wiese zu parken. Erst später wird mir klar: Es ist Sarah Bray, die Tochter von Anne und Edward Boscawen, die jetzt zusammen mit ihrem Mann Jeremy den Garten verwaltet.
„So viele Besucher wie heute hatten wir wahrscheinlich noch nie“, sagt sie. „Viele Leute finden uns über Instagram.“ „Oh je“, denke ich, und sehe das hölzerne Kassenhäuschen schon durch ein riesiges Besucherzentrum voller bunter Teetassen und exklusiver Duftkerzenangebote ersetzt. Sofort fühle mich schuldig. Mit welchem Recht wünsche ich mir, dass dieser herausragende Garten unser Geheimtipp bleibt? Weil wir ihn nicht erst heute entdeckt haben? Und überhaupt, mehr Besucher bedeuten schließlich nicht, dass sich der Fokus dieses Ortes automatisch von Botanik zu Kerzen verschiebt. Seit mehr als einem halben Jahrhundert scheint sich die Familie Boscawen/Bray bewusst gegen die Kommerzialisierung des Gartens entschieden zu haben – trotz der Kosten für seinen Unterhalt. Was klar wird, ist die Ernsthaftigkeit, die diesen Garten auszeichnet, sowohl bezüglich Gartenästhetik als auch Ökologie.
Später im Auto denke ich, dass heute wahrscheinlich viele Leute von High Beeches wegfahren und darüber nachdenken, wie wunderbar es ist, dass sie diesen herrlichen Garten entdeckt haben.