‘Sie sind Nummer 2165 in der Warteschlange. Ihre Wartezeit beträgt etwa 10 Minuten.’ Ich versuchte, auf die Internetseite eines britischen Saatguthändlers zu kommen, es war Ostersonntag 2020 und das Coronavirus hielt die Welt im ersten Lockdown.
Einen Moment lang dachte ich, das sei ein Scherz. Etwas so Banales wie Salatsamen war plötzlich so begehrt? Bis dahin war mir der Lockdown, dieses merkwürdige neue Konzept, wie ein unheimlicher Stillstand vorgekommen, eine Zeit des Wartens, bevor das Leben wieder beginnen würde. Jetzt wurde mir klar, dass sich die Welt gerade veränderte.


Was genau passierte da? Die Leute gärtnerten. Und sie stürmten in die Parks. Aber warum? War es nur Langeweile?
Zeit war auf jeden Fall ein wichtiger Faktor, denn plötzlich gab es viel davon. Noch wichtiger war jedoch, dass für all jene, die das Glück hatten, selbst nicht vom Virus betroffen zu sein, der Lockdown ein riesiges gesellschaftliches und psychologisches Experiment war.
Als das Coronavirus als tödliche Gefahr vor der Haustür auftauchte, unterstrich es die Rolle des Zuhause als sicheren Ort. Darüber hinaus war nichts mehr selbstverständlich. Gesundheit, Nahrung, Arbeitsplätze, die Weltordnung – alles war bedroht. Es war als könnte der Jenga-Turm der Zivilisation einzustürzen und wir würden es nicht verhindern können. Also hielten wir uns an den unteren Klötzchen fest, buchstäblich am Boden und an dem, was aus ihm wuchs.
Salat zu säen machte auf einmal Sinn. Es ging nicht nur um Nahrungsmittelproduktion – obwohl die leeren Supermarkt-Regale definitiv eine Rolle spielten. Vielmehr fühlte es sich angesichts der Nachrichten voller Tod beruhigend an, eine Pflanze wachsen zu sehen.
Während der Pest im Mittelalter hatten sich die Menschen der Religion zugewandt. In unserer aufgeklärteren Zeit sehnten wir uns nach einer Verbindung zur Natur, mit dem Wissen, dass sie die grundlegende, lebenserhaltende Kraft war. Besonders im Frühling ließ sich diese Kraft spüren, im Garten oder Park zwischen Pflanzen sitzend, die völlig unbeeindruckt von den Umwälzungen, die das Virus für alle Menschen auf dem Planeten verursachte, ausschlugen und erblühten.


Der Garten ist ein besonders guter Ort zum nachdenken. Es ist wissenschaftlich erwiesen, daß es eine tiefe, psychologische Wirkung hat, von Pflanzen umgeben zu sein. ‘Ein Garten ist ein geschützter Raum, der einem hilft, seinen geistigen Raum zu erweitern und er gibt einem Ruhe, so dass man seine eigenen Gedanken hören kann. […] Schlummernde Ideen kommen an die Oberfläche und Gedanken, die kaum geformt sind, kommen manchmal zusammen und nehmen unerwartet Gestalt an“, schreibt die Psychiaterin Sue Stuart-Smith in ihrem kürzlich erschienenen Buch „The Well Gardened Mind“.
Jetzt, Mitte Juni, scheint selbst in England die Todesgefahr zurückzugehen, die restriktiven Maßnahmen werden gelockert, das Leben beginnt zu einer Art Normalität zurückzukehren. Sterben die Salatpflänzchen jetzt an Vernachlässigung? Verschwindet die Begeisterung für’s Gärtnern so schnell wie ein guter Vorsatz nach Neujahr? Oder wird der Coronavirus-Lockdown als die Zeit in Erinnerung bleiben, in der sich persönliche Werte und gesellschaftliche Prioritäten zu ändern begannen, weil wir anfingen zu gärtnern?